Prof. Paul Steinmann erhält zweiten ERC Advanced Grant
Der Ingenieur erforscht mit den 2,5 Millionen Euro Förderung die Bruchmechanik weicher Materialien
Die Ingenieurwissenschaften der FAU erfahren erneut eine besondere Würdigung: Prof. Dr. Paul Steinmann, Inhaber des Lehrstuhls für Technische Mechanik, wird mit einem Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) ausgezeichnet. Die Förderung von 2,5 Millionen für die kommenden fünf Jahre wird der Ingenieur nutzen, um die Bruchmechanik weicher Materialien wie Gummi oder Gewebe intensiver zu untersuchen. Bereits 2011 erhielt Steinmann einen ERC Advanced Grant für die Erforschung magnetischer Elastomere.
Je mehr wir über die Eigenschaften von Werkstoffen wissen, umso intelligenter können wir sie einsetzen. Das schließt selbstverständlich ein, dass wir erforschen, wie sich Materialkombinationen vertragen, wie sicher Verbindungen halten und wann Bauteile brechen oder reißen. Mit diesen Fragen beschäftigt sich Paul Steinmann seit über 20 Jahren. Er ist ein führender Experte für die Modellierung und Simulation des Verhaltens von Werkstoffen. In verschiedenen Projekten hat er beispielsweise untersucht, wie sich Polymere und Keramiken durch elektrische Spannung deformieren lassen, wie sich menschliches Gehirn und Knochen unter mechanischer Belastung verhalten, wie sich die Mikro- und Mesostruktur additiv gefertigter Bauteile auswirkt oder unter welcher Eigenspannung fließgepresster Stahl steht.
Bruchmechanik weicher Materialien wenig erforscht
Mit der Förderung des ERC will Steinmann seine Arbeiten zur Bruchmechanik weicher Materialien wie Gummi und Gewebe intensivieren. „Bei festen Werkstoffen wie Stahl, Beton oder hartem Plastik ist dieses Verhalten recht gut erforscht, schließlich wüssten wir sonst nicht, wie Brücken, Gebäude oder Fahrzeuge konstruiert werden müssen“, sagt Steinmann. Feste Materialien lassen sich mit Hilfe der klassischen Bruchmechanik analysieren, wobei die Beanspruchung proportional zur einwirkenden Belastung ist – ein Verhalten, dass als linear bezeichnet wird. Bei weichen Materialien ist die Mechanik jedoch ausgeprägt nichtlinear. Das macht die Berechnung des Bruchbeginns und der Rissausbreitung so kompliziert.
In seinem Forschungsvorhaben, das er auf den Namen „SoftFrac“ getauft hat, will Steinmann neue Modellierungsansätze und Algorithmen testen, mit denen sich die Rissausbreitung in weichen Materialien numerisch verfolgen lässt. Experimente sollen umfassende Daten über das Bruchverhalten generieren – unter anderem unterstützt durch eine Highspeed-Kamera, die mehrere 10.000 Bilder pro Sekunde liefert. Der Großteil der Fördermittel fließt jedoch in die Einrichtung von mehreren Mitarbeiterstellen. „Mit dieser geballten Teampower werden wir in der Lage sein, über vorherige Untersuchungen deutlich hinauszugehen und erstmals ganz neue Fragen zu bearbeiten“, erklärt Steinmann. „Ich bin überzeugt davon, dass wir mit SoftFrac eine neue Ära der ganzheitlichen Erforschung der Bruchmechanik weicher Materialien einläuten.“
Roboterhände und Sollbruchstellen
Im Fokus der Forschung stehen hauptsächlich drei Anwendungsfelder: erstens die Softrobotik, die in der automatisierten Industrie rasant an Bedeutung gewinnt. Das betrifft beispielsweise die Greifer von Roboterarmen, die einerseits weich genug sein müssen, um fragile Gegenstände wie Gläser bewegen zu können, andererseits aber auch robust genug für eine lange Lebensdauer. Feld zwei umfasst dehnbare Elektronik, etwa Wearables, die in Kleidungsstücke eingearbeitet sind – auch sie müssen ebenso elastisch wie beständig sein. Ähnlich verhält es sich beim dritten Anwendungsgebiet, dem sogenannten Tissue Engineering: Gewebezüchtungen, zum Beispiel für Hautimplantate, unterliegen ebenfalls einer nichtlinearen Bruchmechanik.
SoftFrac soll jedoch nicht nur zu einer höheren Ausfallsicherheit weicher Werkstoffe beitragen. Ein besseres Verständnis der Bruchmechanik könnte auch zu Anwendungen führen, bei denen Materialien gezielt zerstört werden, erklärt Steinmann: „Stellen Sie sich vor, Sie könnten genau designen, wann Gummi reißt. Dann könnten Sie Haltebänder entwickeln, die zum Beispiel dafür sorgen, dass sich im Weltall Sonnensegel entfalten oder Module voneinander entkoppeln – genau zum gewünschten Zeitpunkt und ohne aufwändige Mechanik. Solche weichen Sollbruchstellen könnten gefährliche Außeneinsätze von Astronauten künftig überflüssig machen.“
Zur Person
Weitere Informationen
Prof. Dr. Paul Steinmann
Lehrstuhl für Technische Mechanik (LTM)
paul.steinmann@fau.de