Wann und wo Glas zerspringt
Forschungsteam nutzt künstliche Intelligenz zur Bruchvorhersage von glasartigen Materialien
Vorhersagen zu können, wann und wie Materialien brechen, ist für die Industrie von enormer Bedeutung – kann doch so die Wartung von Geräten und Komponenten effizienter und kostengünstiger gestaltet werden. Ein Forschungsteam der FAU hat zusammen mit Kollegen der Universität Mailand gezeigt, dass künstliche Intelligenz anhand von Bildern der atomaren Mikrostruktur vorhersagen kann, wann und wo Quarzgläser versagen werden. Ihre Ergebnisse haben die Forscher kürzlich in Nature Communications veröffentlicht.
Glas ist ein sogenannter nichtkristalliner Festkörper: Im Gegensatz zu kristallinen Feststoffen, sind die Atome in Glas unregelmäßig angeordnet. Das macht es schwerer, vorherzusagen, wann Glas brechen wird: Wenn es nie eine Ordnung gab, ist es schwer, erste Anzeichen einer Unordnung – in kristallinen Materialien ein zuverlässiger Hinweis auf baldiges Brechen – zu erkennen. Dennoch ist es dank der jüngsten Fortschritte im Bereich des Deep Learning mithilfe künstlicher Intelligenz möglich, auch für Gläser genaue Bruchvorhersagen zu treffen.
Wie die KI zu ihren Ergebnissen kommt, welche Parameter sie berücksichtigt oder auf welche sie sich fokussiert, können Forscherinnen und Forscher bisher nicht nachvollziehen. Dieses Problem findet sich in vielen Anwendungen der künstlichen Intelligenz. „Neuronale Netze sind Black Boxes“, erklärt Hauptautor Prof. Dr. Stefano Zapperi von der Universität Mailand, der als Humboldt-Preisträger für ein Jahr zu Gast an der FAU war. „Und das ist eine wichtige Einschränkung in der wissenschaftlichen Forschung, deren Hauptziel es ist, den Ursprung eines Phänomens zu erklären.“
Zur Lösung des Problems wendeten die Forscher eine Methode an, um die Bereiche des mikrostrukturellen Bildes zu identifizieren, die vom neuronalen Netz für die Bruchvorhersage am meisten genutzt werden.
„Neuronale Netzwerke versuchen Gehirne zu imitieren. Auch hier ist es schwer nachzuvollziehen, wie genau unser Gehirn zu einem Ergebnis kommt. Bei Menschen können wir aber zum Beispiel die Blickrichtung messen, um herausfinden, was seine Entscheidung beeinflusst,“ erklärt Dr. Michael Zaiser, FAU-Professor für Werkstoffsimulation und Mitautor der Arbeit. „Das haben wir auf unsere Problemstellung übertragen: Wir haben uns angeschaut, auf welche Punkte im Bild das neuronale Netzwerk seine Aufmerksamkeit richtet: Wo schaut es hin?“
Dieses Vorgehen ermöglichte einen Einblick in die lokalen Merkmale, die die Bruchanfälligkeit von Materialien bestimmen. „Dank der von uns angewandten Methode war es möglich, die relevanten Aspekte, die den Bruch des Materials bestimmen, besser zu verstehen und so nicht nur eine Vorhersage, sondern auch ein größeres grundlegendes Verständnis der Mechanik von Gläsern zu erhalten“, sagt Stefano Zapperi. „Die von uns entwickelte Strategie bietet sich für weitere Anwendungen an“, ergänzt Michael Zaiser, „zum Beispiel für das Design ungeordneter Materialien mit besserer Bruchzähigkeit.“
Weitere Informationen
Prof. Dr. Michael Zaiser
Lehrstuhl für Werkstoffsimulation
Tel.: 0911/65078-65060
michael.zaiser@fau.de